Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Gute Rüstungsausgaben, schlechte Bildungsausgaben?

| 01. Mai 2024
@midjourney

Traditionell wird zwischen investiven und konsumtiven Staatsausgaben unterschieden, wobei erstere als gut, letztere dagegen als schlecht gelten. Diese Unterteilung greift nicht nur zu kurz, sondern ist oft irreführend. Sie sollte deshalb um eine andere Kategorisierung ergänzt werden.

In einem Beitrag für die NachDenkSeiten kritisiert Jens Berger die Darstellung von Rüstungsausgaben als Investitionen, wie sie von Politik und Medien verbreitet werde. Insbesondere die Grünen und die FDP bedienten sich gern der Erzählung, dass Rüstungsausgaben „Investitionen in die Sicherheit“ seien, und begründeten damit ihre Forderung, diese wichtigen Investitionen an der Schuldenbremse vorbeizufinanzieren. Berger erwidert polemisch:

„Doch da haben sie offenbar im Grundstudium der Volkswirtschaftslehre nicht richtig aufgepasst. Rüstungsausgaben sind aus volkswirtschaftlicher Sicht keine Investitionen, sondern Konsumausgaben.“

Manipulation und Denkfehler?

Berger unterscheidet zwischen zwei volkswirtschaftlichen Betrachtungsebenen. Auf der ersten Betrachtungsebene gebe es zunächst keinen wesentlichen Unterschied zwischen erhöhten Ausgaben für Schulen und Universitäten einerseits und für Militär andererseits. Das Geld fließe insbesondere als Lohn an die privaten Haushalte und die Beschäftigten in beiden Bereichen gäben erhebliche Teile dieses Lohns in der Binnenwirtschaft aus, was diese belebe. In einer längeren Passage grenzt Berger konsumtive von investiven Ausgaben wie folgt ab:

„Die eigentliche Abweichung findet auf der zweiten Ebene statt, auf der man dann den Unterschied zwischen Investition und Konsum erkennen kann. Ein besseres Bildungssystem führt zu qualifizierteren Schul- und Universitätsabsolventen, die ihrerseits die Produktivität des Standorts steigern. Der gut ausgebildete Facharbeiter zahlt nicht nur mehr Steuern als der ungelernte Hilfsarbeiter, sondern er hat als Arbeitnehmer auch einen positiven Effekt auf die Wertschöpfung der Volkswirtschaft. So entsteht am Ende Wachstum. Ausgaben zur Verbesserung des Bildungssystems sind somit Investitionen.

Doch welchen Effekt auf zweiter Ebene haben ein Panzer oder eine Artilleriegranate? Keinen. Volkswirtschaftlich macht es keinen nennenswerten Unterschied, ob der Staat Steuergelder dafür verwendet, Panzer herzustellen oder das Bundeskanzleramt mit einer goldenen Kuppel zu verschönern. Beides sind Konsumausgaben – volkswirtschaftlich korrekt als ‚Kollektivkonsum‘ definiert.“

Besonders das Verhalten der Grünen sei unverständlich. So seien sie auf der einen Seite keine rigorosen Verfechter der Schuldenbremse oder der schwarzen Null, sondern unterstützten eine Ausnahmeregelung für „notwendige Investitionen“:

„Für notwendige Investitionen wollen sie gerne eine Ausnahme machen. Bislang galt dies – zumindest rhetorisch – für Investitionen in Bildung, regenerative Energien und klimafreundliche Infrastruktur. All diese Punkte fallen auch tatsächlich in den Bereich Investitionen und erzeugen tatsächlich auf zweiter Ebene positive volkswirtschaftliche Effekte.“

Nun aber wolle Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stattdessen für Waffen die Schuldenbremse umgehen, was keinen positiven, sondern einen negativen Effekt auf die Volkswirtschaft haben werde. Denn jeder Euro, der heute nicht für Bildung, sondern für Granaten ausgegeben werde, führe zukünftig zu einer sinkenden Wertschöpfung der Wirtschaft.

Leider stellten hier weder die linksliberalen noch die konservativen Medien ein Korrektiv dar – ganz im Gegenteil, sie stünden voll und ganz hinter Habeck und dessen (unzulässiger) Uminterpretation der Rüstungsausgaben. Berger fordert daher:

„Bitte haben Sie diesen Denkfehler immer im Hinterkopf, wenn es um politische Debatten zu dieser Thematik geht. Die Umdeutung von Rüstungsausgaben zu Investitionen ist höchst manipulativ und leider ist diese Manipulation auch sehr erfolgreich. Die ‚linksliberalen‘ Medien sind sich dieses Denkfehlers – anders als Robert Habeck – sicher bewusst, aber da sie eine Steigerung der Rüstungsausgaben unterstützen, beteiligen sie sich an der Manipulation. Skurril ist hingegen die Manipulation durch die konservativen Medien. Sie gehören ja zu den ideologischen Verteidigern von Schwarzer Null und Schuldenbremse und lehnen sogar Ausnahmen für sinnvolle Investitionen ab – für sinnlose Konsumausgaben für die Aufrüstung machen sie aber gerne eine Ausnahme. Und so gibt es – zumindest unter den großen, klassischen Medien – auch niemanden, der diesen Denkfehler anprangert.“

Unterstützung erhielt Berger kürzlich in einem Beitrag des Overton-Magazins, in dem Karl-Heinz Peil unter ausdrücklicher Berufung auf die NachDenkSeiten ganz ähnlich argumentiert.

Rüstungs- und Bildungsausgaben in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

Jens Bergers Verärgerung über die „derzeitigen politischen Narrative“ ist durchaus verständlich und nachvollziehbar. Nur: Es handelt sich um keinen Denkfehler und um keine Manipulation. Denn mit der Revision des internationalen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (SNA 2008) bzw. der Einführung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 (ESVG 2010) – das weitgehend dem SNA 2008 entspricht – hat sich eine Veränderung bestehender Konzepte ergeben. Die (quantitativ) wichtigste Änderung ist die Erweiterung des Investitionsbegriffes: Zum einen zählen Forschungs- und Entwicklungsausgaben jetzt nicht mehr als Vorleistungen, sondern als Bruttoanlageinvestitionen. Zum anderen – und dies ist in unserem Zusammenhang wichtig – gelten nunmehr auch militärische Waffensysteme (also beispielsweise Panzer, Militärflugzeuge, Kriegsschiffe, Unterseeboote oder Abschussgeräte) als Investitionen. Sie tragen angeblich kontinuierlich und längerfristig zur Produktion von Sicherheitsleistungen bei (Brümmerhoff/Grömling 2014; Brümmerhoff/Grömling 2015, S. 141; Statistisches Bundesamt 2024).

Nicht richtig ist zudem, dass Ausgaben zur Verbesserung des Bildungssystems Investitionen darstellen. Bildungsausgaben zählen in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) zum Konsum (Brümmerhoff/Grömling 2015, S. 140).[1] Der Verbesserung der Qualität der Arbeit wird folglich nicht der Charakter einer Investition zugeschrieben. Ein offizieller Grund ist, dass Bildungsausgaben zwar der Erzeugung zukünftiger Erträge dienen, die generierte Produktivität aber personenbezogen ist, so dass der Ausgabenträger nicht ohne Einschränkungen darüber verfügt: Die Person könnte ja beispielsweise das Unternehmen oder das Land verlassen, womit der Nutzen für den Ausgabenträger hinfällig wäre (Beznoska et al. 2021, S. 12f).

Bildungsausgaben als Humankapitalinvestitionen?

Zwar gibt es Bestrebungen, sogenannte „Humankapitalausgaben“ in den Investitionsbegriff der VGR zu integrieren (vgl. z.B. Jorgensen 2010), das heißt, Bildungsausgaben in „Humankapitalinvestitionen“ umzudefinieren. Nicht selten werden öffentliche Bildungsausgaben auch einfach als Proxy, also stellvertretend, für Humankapitalinvestitionen verwendet (vgl. z.B. Neycheva 2010). Dies alles ist methodisch höchst fragwürdig:

Einer der Begründer der Humankapitaltheorie ist der Chicagoer Ökonom Gary Becker, der Humankapital als weiteren Produktionsfaktor neben Kapital und Arbeit sieht (Becker 1964). Etwas vereinfacht ist unter „Humankapital“ das Leistungspotenzial der Arbeitskräfte zu verstehen, das von Faktoren wie Schulbildung, Aus- und Weiterbildung, Erfahrung, Arbeitsgewohnheiten etc. abhängig ist, wobei sich höhere Bildung in erhöhte Produktivität und diese wieder in höhere Löhne umsetzt. Dahinter steckt die Idee der Lohneinkommen als Verzinsung der in Form von Bildungsprozessen in den Menschen vorgenommenen Investitionen, die genau wie Sachinvestitionen ebenfalls Kapital bilden – nämlich Humankapital. Diese Vorstellung des Arbeitsvermögens als Kapital ist bereits von Marx als „belletristische Phrase“ kritisiert worden, ähnlich derjenigen, „die Substanz des Auges [als] das Kapital des Sehns“ (Marx 1974a, S. 200) definieren zu wollen.

Tatsächlich ergibt es keinen Sinn, die durch Aus- und Weiterbildung qualitativ (und quantitativ) erhöhte Leistungsfähigkeit des Produktionsfaktors Arbeit nunmehr als Kapital, nämlich als Humankapital, zu klassifizieren und damit dem Produktionsfaktor Kapital zuzuordnen. Denn die Erhöhung der Leistungsfähigkeit eines Produktionsfaktors verändert selbstverständlich nicht dessen Wesen. In der Konsequenz gibt es bei einem solchen Vorgehen Arbeit praktisch nur noch als Kapital und das Gleiche gilt für den leistungsmäßig (durch Pflügen, Düngen etc.) gesteigerten Boden. Es wird also eine grundsätzliche Gleichheit von in Wahrheit höchst unterschiedlichen Ressourcen (wie Sachkapital und Humankapital) unterstellt. Damit aber sind auch alle Wirtschaftsteilnehmer prinzipiell gleich – sie sind allesamt Kapitaleigner resp. Kapitalisten, nämlich Sachkapitalisten, Geldkapitalisten, Bodenkapitalisten oder eben Humankapitalisten (ähnlich auch Krais 1983). Das ist absurd, auch wenn sich manch einer darüber freuen mag, dass endlich – wenn auch nur per definitionem – alle sozialen Ungleichheiten und Unterschiede beseitigt werden konnten.

Problematische Unterteilung der Staatsausgaben

Was folgt nun aus den vorangegangenen Ausführungen? Drei Punkte sind wichtig:

Erstens ist die Kritik Jens Bergers an der Klassifizierung von Rüstungsausgaben für Waffensysteme als Investitionen zutreffend. Nur handelt es sich dabei nicht um eine Manipulation oder einen Denkfehler auf Seiten von Politik und Medien, sondern um die korrekte Anwendung der offiziellen Begriffe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach der VGR-Revision 2014, die der europaweiten Einführung des neuen ESVG 2010 diente.

Zweitens sind umgekehrt aber auch die frühere Zuordnung des Kaufs militärischer Waffensysteme zum Staatskonsum und die bestehende Behandlung der Bildungsausgaben als Konsum keineswegs unproblematisch.

Drittens zeigt sich generell, wie wenig geeignet die Unterteilung in investive und konsumtive Staatsausgaben für viele Analysezwecke ist. Man denke nur an die gegenwärtige Diskussion über die Schuldenbremse: Hier hat sich offenbar ein weitgehender Konsens entwickelt, dass die Schuldenbremse nicht abgeschafft, sondern reformiert werden sollte: Die Aufnahme „guter“, „sinnvoller“ Schulden durch die Regierung müsse weiterhin erlaubt sein, diejenige „schlechter“, „überflüssiger“ Schulden dagegen unterbunden werden. Wobei dann wiederum breite Einigkeit darüber besteht, dass Schulden für gute investive Staatsausgaben auch gute Schulden, solche für schlechte konsumtive Staatsausgaben dagegen schlechte Schulden sind. Denn während konsumtive öffentliche Ausgaben nur gegenwartsbezogen seien, hätten investive Ausgaben einen Zukunftsbezug, also einen positiven Effekt über die Gegenwart hinaus, indem sie das Produktionspotenzial erhöhten und Einkommen und Arbeitsplätze in zukünftigen Perioden schaffen würden. Sie seien mithin wichtig für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Wer aber pauschal verlangt, staatliche Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen – die Schuldenregel aber ansonsten beizubehalten –, sollte sich darüber im Klaren sein, dass mit dieser Forderung auch eine massive Ausweitung der Rüstungsausgaben bei gleichzeitiger Kürzung der Sozialausgaben und selbst der Bildungsausgaben kompatibel wäre. Das jedoch wird kein halbwegs vernunftbegabter Mensch, der für eine Ausnahmeregelung für Investitionen eintritt, ernsthaft wollen.

Reproduktive und unreproduktive Staatsausgaben

Wenn aber die herkömmliche Unterscheidung zwischen investiven und konsumtiven Staatsausgaben aufgrund problematischer statistischer Definitionen und wechselnder Zuordnungen große Schwächen aufweist, stellt sich die Frage nach einer anderen Klassifikation öffentlicher Ausgabearten, die den Dualismus „investiv/konsumtiv“ ersetzen oder zumindest ergänzen kann. Tatsächlich wurde in der politökonomischen Diskussion der späten 1970er und frühen 1980er Jahre mit der Differenzierung zwischen „reproduktiven“ und „unreproduktiven“ Ausgaben eine solche Alternative entwickelt (Stamatis 1977, Laaser 1977, Grunert 1982). Was ist damit gemeint?

Die Kategorien „reproduktiv“ und „unreproduktiv“ stammen ursprünglich von Marx, der sie im Zusammenhang mit den von ihm angeführten Grenzen der Luxusgüterproduktion verwendete (Marx 1974b, S. 71f). Sie wurden in der erwähnten späteren politökonomischen Debatte aufgegriffen und auf die Analyse der Struktur der Staatsausgaben ausgeweitet.

Als reproduktive Ausgaben werden Ausgaben für reproduktive Gebrauchswerte bezeichnet. Reproduktiv sind all diejenigen Gebrauchswerte, die von neuem in den gesellschaftlichen Produktionsprozess eingehen und sich dort erneut reproduzieren (obschon nicht in der gleichen stofflichen Gestalt) – mithin handelt es sich ausschließlich um Produktionsmittel und um Lohngüter (Lohngüter sind Waren und Dienstleistungen, die in die Reproduktion der Arbeitskraft eingehen).

Als unreproduktive Ausgaben werden demgegenüber Ausgaben für unreproduktive Gebrauchswerte eingeordnet. Unreproduktiv sind diejenigen Gebrauchswerte, die nicht erneut in den Produktionsprozess eingehen, die sich weder in der gleichen noch in einer anderen stofflichen Form reproduzieren und die also weder Produktionsmittel noch Lohngüter sind.[2]

Konkret auf den Staat bezogen: Die Staatsausgaben lassen sich unterteilen in Ausgaben für reproduktive und für unreproduktive Gebrauchswerte. Die reproduktiven Staatsausgaben dienen der gesellschaftlichen Reproduktion des Kapitals bzw. der Herstellung bestimmter allgemeiner Bedingungen dieser Reproduktion auf der Ebene des realen Produktionsprozesses (Ausgaben für Straßen, Schienen- und Wasserwege, Flughäfen, Bahnhöfe, Energieinfrastruktur, Wasserversorgungssysteme, Kommunikationsnetze, andere sogenannte wirtschaftsnahe Infrastruktur und so weiter) sowie der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeitskraft (Ausgaben für Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung, Wohnungswesen et cetera).

Die unreproduktiven Staatsausgaben dagegen dienen nicht unmittelbar der gesellschaftlichen Reproduktion. Ihre Funktion ist vielmehr die Aufrechterhaltung und der Schutz des politisch-ökonomischen Gesamtsystems (Ausgaben für Verteidigung, Recht, öffentliche Ordnung und Sicherheit usw.). Sie sind folglich aus Sicht der Reproduktion der Bedingungen des realen unmittelbaren Produktionsprozesses unreproduktiv. Ein gutes Beispiel sind Ausgaben für Rüstungsgüter, die in Bezug auf den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess ökonomisch betrachtet funktionslos sind, eben unreproduktiv.

Zum Verhältnis von reproduktivem zu unreproduktivem Sektor

Wie aber stellen sich die vorangegangenen Ausführungen aus Sicht der gesamtwirtschaftlichen Produktion dar? Diese teilt sich in zwei Sektoren auf, den reproduktiven und den unreproduktiven Sektor. Im reproduktiven Sektor werden Produktionsmittel und Lohngüter produziert, im unreproduktiven Sektor hingegen Gebrauchswerte, die weder als Produktionsmittel noch als Lohngüter verwendet werden. Da die in den Produktionsprozess des unreproduktiven Sektors eingehenden Produktionsmittel und Lohngüter im reproduktiven Sektor hergestellt werden, ist der unreproduktive abhängig vom reproduktiven Sektor. Mit anderen Worten: Der unreproduktive Sektor kann sich nicht selbst reproduzieren, sondern er wird vom reproduktiven Sektor reproduziert. Sein Wachstum wird mithin durch das Wachstum des reproduktiven Sektors begrenzt, von dem er die Mittel für seine Ausdehnung erhält.

Diese Überlegungen auf Basis der Kategorien reproduktiv/unreproduktiv können in vielen Analysen hilfreich und verständnisfördernd sein. Das gilt wiederum auch für die Debatte zur Schuldenbremse. So ist es wenig sinnvoll, „gute“ investive Staatsausgaben gegen „schlechte“ konsumtive Staatsausgaben auszuspielen, denn insbesondere Bildungsausgaben (traditionell dem staatlichen Konsum zugeordnet) sind ökonomisch ähnlich bedeutsam wie Infrastrukturausgaben (traditionell öffentliche Investitionen) – beide stellen reproduktive Staatsausgaben dar. Investive und konsumtive Staatsausgaben sind zudem oft komplementär, wie an anderer Stelle gezeigt.

Unreproduktive Staatsausgaben haben zwar den Vorteil, hinsichtlich des sogenannten „Domar-Problems“ (hier erklärt) nicht relevant zu sein, aber ein übermäßiges Ansteigen der Ausgaben für unreproduktive Gebrauchswerte (also auch z.B. für Rüstungsgüter) kann – sofern damit eine Ausdehnung des unreproduktiven zulasten des reproduktiven Sektors verbunden ist – die Reproduktion des reproduktiven Sektors und folglich die Basis für die Reproduktion des wirtschaftlichen Gesamtsystems beeinträchtigen oder sogar gefährden. Ob es hier tatsächlich zu Problemen kommt oder nicht, hängt – unter sonst gleichen Umständen – wesentlich davon ab, ob die Arbeitsproduktivität hinreichend rasch wächst, vor allem im reproduktiven Sektor: In dem Maße, wie die Produktivität zunimmt, kann ein wachsender Teil des gesellschaftlichen Produkts in der Form unreproduktiver Gebrauchswerte produziert und gleichzeitig ein ebenfalls steigender Teil dieses Produkts an den Staat abgetreten werden. Dabei ist aber wiederum zu bedenken, dass eine Erhöhung der unreproduktiven Ausgaben, die ein bestimmtes Maß übersteigt, eine Verlangsamung des Produktivitätswachstums zur Folge hat.

Kein Plädoyer für eine modifizierte Schuldenbremse

Wenn überhaupt, so ließe sich also eine Trennlinie zwischen „guten“ und „schlechten“ Staatsausgaben eher entlang ihres reproduktiven oder unreproduktiven, nicht aber ihres investiven oder konsumtiven Charakters ziehen. Aber selbst hier ist Vorsicht geboten: Zwar sind die unreproduktiven Ausgaben vom Standpunkt der Reproduktion der Bedingungen des unmittelbaren Produktionsprozesses unreproduktiv, aber sie sind deswegen keineswegs allesamt nutzlos und überflüssig. Sicherlich ist der gesellschaftliche Nutzen hoher Rüstungsausgaben mehr als fragwürdig, aber z.B. die Ausgaben für Recht, öffentliche Ordnung und Sicherheit (Polizei, Nachrichtendienste, Gerichte und Justizvollzug etc.) sind – zumindest in einem bestimmten Umfang – unerlässlich zur Aufrechterhaltung und Sicherung des Systems in seiner Gesamtheit. Sie können daher nicht auf ein beliebig niedriges Niveau gesenkt oder dauerhaft auf einem beliebig geringen Niveau gehalten werden.

Auch wenn die bisherigen Ausführungen insgesamt eine Präferenz reproduktiver gegenüber unreproduktiven Staatsausgaben erkennen lassen, dürfen sie nicht als ein Plädoyer für eine modifizierte Schuldenbremse missverstanden werden, etwa dergestalt, dass zukünftig allein höhere reproduktive Ausgaben erlaubt sein sollten und auch das nur, wenn sie durch entsprechend geringere unreproduktive Ausgaben „gegenfinanziert“ werden. Wie schon oft auf MAKROSKOP dargestellt, zeichnet sich eine verantwortungsvolle Budgetpolitik nicht dadurch aus, dass bestimmte Fiskalregeln zur Beschränkung des öffentlichen Defizits oder der öffentlichen Ausgaben (Schuldenbremsen, Referenzwerte für die staatliche Defizitquote, Regeln für einen ausgeglichenen Haushalt und so weiter) eingehalten werden. Sie ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sie alles unternimmt, um die Ausgaben- und Nettosparentscheidungen des Nicht-Bundessektors zu unterstützen und darauf hinzuwirken, dass die Ausgaben in der Volkswirtschaft ausreichend sind, um Vollbeschäftigung zu erzielen. Welcher Haushaltssaldo des Staates (z.B. hohes oder niedriges Defizit) zur Erreichung dieses Zieles erforderlich wird, ist letztlich unerheblich.

Insofern ist Keynes Recht zu geben, der in seiner „General Theory“ selbst extrem sinnlose unreproduktive Staatsausgaben (die er allerdings nicht als solche bezeichnet) für immer noch besser hält, als Arbeitslosigkeit einfach hinzunehmen:

„Wenn das Schatzamt alte Flaschen mit Banknoten füllen und sie in geeigneter Tiefe in stillgelegten Kohlenbergwerken vergraben würde, die dann bis zur Oberfläche mit städtischem Müll aufgefüllt würden, und es dann dem privaten Unternehmergeist nach den bewährten Grundsätzen des Laissez-faire überlassen würde, die Noten wieder auszugraben (wobei das Recht, dies zu tun, natürlich durch Offerten für die Pacht des Grundstücks, wo die Noten liegen, zu erwerben wäre), brauchte es keine Arbeitslosigkeit mehr zu geben […]. Es wäre zwar vernünftiger, Häuser und dergleichen zu bauen; aber wenn dem politische und praktische Schwierigkeiten im Wege stehen, wäre das obige besser als gar nichts“ (Keynes 1967, S. 129; Übersetzung durch den Verf.).

Zweifellos handelt es sich hierbei um ein bewusst überzogenes, nicht ganz ernst zu nehmendes Beispiel für absolute Ausnahmesituationen, das jedoch gut verdeutlicht, wo die Priorität liegen sollte.

Produktive und unproduktive Staatsausgaben?

Die hier eingeführten Begriffe „reproduktiv“ und „unreproduktiv“ dürfen nicht mit den Bezeichnungen „produktiv“ und „unproduktiv“ gleichgesetzt beziehungsweise verwechselt werden. Verschiedene Ökonomen stufen – je nach politischer Einstellung – höchst unterschiedliche staatliche Ausgaben als „unproduktiv“ ein, etwa Zinsausgaben, Sozialausgaben und vor allem Militärausgaben, ohne dass sie sich der Mühe unterziehen, präzise zu definieren, was unter „produktiv“ und „unproduktiv“ zu verstehen ist.

Traditionelle VWL-Lehrwerke bieten in diesem Fall wenig Hilfe. Hier gilt immer noch, was Karl Georg Zinn bereits im Jahr 1980 feststellte:

„Der Laie könnte also erwarten, von der Wirtschaftswissenschaft eine genauere Auskunft zu erhalten, was denn unter produktiv und unproduktiv im ökonomischen Sinn zu verstehen ist. Schlägt er irgendwelche Standardlehrbücher oder Fachlexika der Wirtschaftswissenschaft auf, so erhält er zwar eine ausführliche Erläuterung des Begriffs der Produktivität, aber eine Unterscheidung von produktiv und unproduktiv wird er kaum ausfindig machen können“ (Zinn 1980).

Ein wichtiger Grund dafür liegt darin, dass sich die Neoklassik als dominierende Wirtschaftstheorie wissenschaftstheoretisch am sogenannten „Wertfreiheitspostulat“ orientiert, das heißt, einen Verzicht auf Werturteilsdiskussionen in der Wissenschaft fordert. Anders als der Fachbegriff „Produktivität“, der eine statistisch-quantitative Messziffer darstellt – definiert als das Verhältnis von Produktionsergebnis zu Einsatz eines damit verbundenen Produktionsfaktors (bei der Arbeitsproduktivität das Produktionsergebnis je Einheit der eingesetzten Arbeitsleistung) –, ist die Einteilung in produktiv und unproduktiv in erster Linie qualitativer Natur. Für die klassische politische Ökonomie von Adam Smith bis hin zu John Stuart Mill stellte dies kein Problem dar: Sie benutzte die Termini produktiv/unproduktiv für eine kritische Beurteilung wirtschaftlicher Aktivitäten hinsichtlich ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Nützlichkeit oder Schädlichkeit. In der herrschenden marktwirtschaftlichen Theorie aber gelten „alle im Rahmen tauschwirtschaftlichen Wettbewerbs erbrachten Leistungen als nützlich […], so daß sie grundsätzlich als ‚produktiver‘ Beitrag zum Sozialprodukt eingestuft werden“ (Zinn 1980; Hervorhebung durch den Verf.).

Mit anderen Worten: Auf Grundlage der herrschenden Lehre lässt sich eine kategoriale Unterscheidung zwischen produktiv und unproduktiv nicht herleiten. Dies gilt auch für eher keynesianisch ausgerichtete Lehrbücher, die zumeist wenig bis gar nichts zu diesem Thema ausführen.

Produktiv und unproduktiv in der marxistischen Ökonomik

Die Begriffe produktiv und unproduktiv spielten in der jüngeren Vergangenheit nur in der marxistischen Ökonomik eine wesentliche Rolle: Hier entwickelte sich eine breite Debatte zum Problem der produktiven und unproduktiven Arbeit. Nach Marx (1976, S. 122-277) sind nur diejenigen Arbeiter im Kapitalismus produktiv, die drei Bedingungen gleichzeitig erfüllen: Erstens müssen sie Gebrauchswerte, zweitens Tauschwerte und drittens Mehrwert produzieren. Entsprechend sind Ausgaben zum Kauf von Waren, zu deren Herstellung produktive Arbeit angewandt wurde, sowie Ausgaben zum Kauf von Arbeitskraft, die im kapitalistischen Produktionsprozess zum Zweck der Mehrwertproduktion eingesetzt und damit produktiv verausgabt wird, produktive Ausgaben. Dagegen gelten Ausgaben zum Kauf von Gebrauchswerten, die keine Waren – jedenfalls keine kapitalistischen Waren – darstellen, sowie Ausgaben zum Kauf von Arbeitskraft, die nicht im kapitalistischen Produktionsprozess eingesetzt wird und mithin keinen Mehrwert produziert, als unproduktive Ausgaben.

Während sich die oben verwendeten Begriffe „reproduktiv“ oder „unreproduktiv“ auf die konkrete Arbeit und deren Produkt, also den Gebrauchswert, beziehen, nehmen die Begriffe „produktiv“ oder „unproduktiv“ Bezug auf die abstrakte Arbeit und deren Produkt, die Ware. Das heißt, es geht um die Produktionsweise, unter deren Bedingungen die Arbeit angewandt wird, oder – etwas vereinfacht ausgedrückt – um die Verwertungsseite (nicht aber um die stoffliche, die Gebrauchswertseite).

Daraus folgt aber auch, dass die Begriffe produktive und unproduktive Arbeit in marxistischer Sicht nichts über die gesellschaftliche Nützlichkeit aussagen und somit auch nicht in dieser Bedeutung verwendet werden dürfen. So kann eine unter Verwertungsgesichtspunkten unproduktive Arbeit von der Gebrauchswertseite her gesehen ohne Weiteres reproduktiv sein. Ebenso gilt umgekehrt: Nicht jede produktive Arbeit ist unter Gebrauchswertaspekten reproduktiv. Ein gutes Beispiel ist die Rüstungsproduktion: Bei Rüstungsprodukten handelt es sich um Gebrauchswerte, zu deren Produktion unreproduktive und zugleich produktive Arbeit (die mehrwertproduzierend ist) verausgabt wurde.

Gleichzeitig werden die Käufe von militärischen Gütern vermutlich am häufigsten angeführt, wenn es um die Benennung unproduktiver Staatsausgaben geht. Da aber im Marxschen Sinne Ausgaben zum Kauf von Waren, bei deren Produktion produktive Arbeit angewendet wurde, produktive Ausgaben darstellen, lässt sich aus marxistischer Sicht bei Ausgaben zum Kauf von Militärgütern nicht von unproduktiven Ausgaben sprechen. Ebenso wenig ist dies – wie oben gezeigt – auf Basis der traditionellen Volkswirtschaftslehre möglich.

Geringer Erkenntnisgewinn

In diesem Beitrag wurde auf die Verwendung der Kategorien produktiv und unproduktiv bewusst verzichtet. Zwar wäre es theoretisch möglich, die Marxschen Definitionen zu übernehmen oder sich zumindest an ihnen zu orientieren. Aber auch wenn man diese vorbehaltlos akzeptierte (was hier nicht getan wird), wäre damit noch nicht viel gewonnen. Denn die breite Diskussion unter marxistischen Ökonomen hat gezeigt, dass die Zuordnung konkreter Arbeiten zu den Kategorien produktiv/unproduktiv nicht selten äußerst kompliziert und umstritten ist (insbesondere im Bereich der Dienstleistungen). Gleichzeitig ist der Erkenntnisgewinn, der sich aus der Verwendung des Begriffspaars ergibt, relativ gering.

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[1] Zwar werden z.B. Hochschulgebäude zu den Investitionsgütern gerechnet, die Besoldung der Hochschullehrer wird hingegen dem Verbrauch zugeordnet. Aber auch wenn man alle Ausgaben für den Bildungssektor in Deutschland zusammennimmt – also Investitionen, Vorleistungen (Sachleistungen), Sozialleistungen und soziale Sachtransfers, Subventionen, Sonstigen Transfers und direkte Personalausgaben –, entfallen davon im Jahr 2018 nur gut 7 Prozent auf Investitionen, 58 Prozent dagegen auf direkte Personalausgaben, die dem Konsum zugerechnet werden. Rechnet man noch die indirekten Personalkosten hinzu, die in den anderen genannten Ausgabenkategorien enthalten sind, erhöht sich der Anteil der Personalausgaben an den gesamten öffentlichen Ausgaben für den Bildungssektor auf über 70 Prozent (Beznoska et al. 2021, S. 14).
[2] Piero Sraffa unterscheidet in ähnlicher Weise zwischen Basisprodukten und Nicht-Basisprodukten. Unter Basisprodukten versteht er die Waren, die – direkt oder indirekt – in die Produktion aller (Basis- und Nicht-Basis-) Waren eingehen; Nicht-Basisprodukte sind die Waren, auf die dies nicht zutrifft. Das heißt: Basisprodukte sind sowohl zur Produktion von sich selbst als auch zur Produktion der Nicht-Basisprodukte erforderlich, Nicht-Basisprodukte dagegen werden allenfalls in ihrer eigenen Produktion benötigt, nicht aber in der Produktion der Basisprodukte (Sraffa 1968, S. 26f). Vgl. dazu auch Pasinetti 1988, S. 122ff. Basisprodukte wären demnach reproduktive, Nicht-Basisprodukte unreproduktive Gebrauchswerte.

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Literatur:
Becker, G.S. (1964): Human Capital – A Theoretical and Empirical Analysis, with Special Reference to Education, New York.
Beznoska, M./Kauder, B./Obst, T. (2021): Investitionen, Humankapital und Wachstumswirkungen öffentlicher Ausgaben, in: IW-Policy Paper 2/21, Köln.
Brümmerhoff, D./Grömling M. (2014): Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2014 – Folgen für die ökonomische Analyse, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg., Heft 4, S.281-287.
Brümmerhoff, D./Grömling, M. (2015): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, 10. Auflage, Berlin/Boston.
Grunert, G. (1982): Möglichkeiten und Grenzen des Staatsinterventionismus, in: Sozialist – Zeitschrift marxistischer Sozialdemokraten, Nr. 4, S. 11-14.
Jorgenson, D.W. (2010): Human Capital and the National Accounts, in: Survey of Current Business 90, No. 6, S. 54-56.
Keynes, J.M. (1967): The General Theory of Employment Interest and Money, London/Melbourne/Toronto.
Krais, B. (1983): Bildung als Kapital – Neue Perspektiven für die Analyse der Sozialstruktur?, in: Kreckel, R. (ed.): Soziale Ungleichheiten, Göttingen, S. 199-220.
Laaser, W. (1977): Die Fiskalpolitik in der Wirtschaftskrise 1974/75, in: Prokla – Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik 28, S. 3-23.
Marx, K. (1974a): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin.
Marx, K. (1974b): Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Archiv sozialistischer Literatur 17, Frankfurt a.M.
Marx, K. (1976): Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, Berlin.
Neycheva, M. (2010): Does Public Expenditure on Education Matter for Growth in Europe? A Comparison between old EU Member States and Post-Communist Economies, in: Post-Communist Economies, Vol. 22(2), S. 141-164.
Pasinetti, L.L. (1988): Vorlesungen zur Theorie der Produktion, Marburg.
Sraffa, P. (1968): Warenproduktion mittels Waren, Berlin.
Stamatis, G. (1977): Unreproduktive Ausgaben, Staatsausgaben, gesellschaftliche Reproduktion und Profitabilität des Kapitals, in: Prokla – Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik 28, S. 25-54.
Zinn, K.G. (1980): Die Kategorien „produktiv“ und „unproduktiv“ in der Ökonomie. Über lebensnützliche und lebensschädliche Bedürfnisse, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ), B 17, S. 21-38.